Im Rahmen meiner Arbeit werde ich immer wieder gefragt, was man gegen Tinnitus machen kann. Auch hier habe ich schon von meinen Erlebnissen mit dem Tinnitus berichtet. Es schien mir aber sinnvoll meine Meinung dazu nocheinmal in ein paar Sätzen widerzugeben.
Schon etwa in meinem dritten Lebensjahr habe ich angefangen, meinen Tinnitus bewusst wahrzunehmen. In meiner frühesten Erinnerung liege ich in meinem Kinderbett, kurz vor dem Einschlafen und ich horche in die Nacht. Ein Lichtschein aus dem Flur fällt auf meine Bettdecke. Es herrscht Stille. Ich nehme jedoch ein Summen wahr, ein hoher Ton, von dem ich weiß, dass er in meinen Ohren ist und nicht von einer fremden Quelle erzeugt wird. Ich denke darüber nach, beobachte, frage mich nach dem Ursprung und erkläre dieses Geräusch dann für normal: „Schließlich muss man ja etwas hören, wenn es ganz still ist.“
Mein Tinnitus begleitet mich quasi schon mein ganzes Leben. Sehr selten gab es kurze Momente, in denen ich keinen Ton wahrnahm, aber die Abwesenheit verunsicherte mich mehr, als das Vorhandensein dieser Geräusche. Ich bekam einen Schreck, dachte, jetzt sei ich vollkommen ertaubt und musste ich mir mit dem Erzeugen eines beliebigen Tons das Gegenteil beweisen. Mein Tinnitus ist ausgesprochen kreativ. Mal summt er nur, dann rauscht er zusätzlich. Die Töne ändern die Frequenz und auch die Lautstärke, sie mischen sich und es entsteht eine ständig wechselnde Abfolge von Klängen bis hin zu akustischen Haluzinationen. Vor vielen Jahren habe ich zeitweise geglaubt, mein Telefon würde in der Ferne klingeln, dabei war es der Tinnitus. Dann wieder gab es ein abgrundtiefes Brummen, wie bei einem Erdbeben, das ich dem Tinnitus erst viel später zuordnen konnte und das mich daher zunächst eine Weile nervös gemacht hat.
Nach meiner CI-OP hatte ich sehr laute Geräusche im Ohr. Es klang wie der fortwährende Schlussakkord eines Rocksongs und wie eine fortwährende Party in der Nachbarschaft, zu der ich nicht eingeladen war. Mittlerweile hat sich das wieder auf ein Rauschen reduziert. Meistens klingt es, als fliege ein Flugzeug hoch am Himmel vorüber. Wenn ich mich darauf konzentriere, habe ich das Gefühl von blauem Himmel und strahlenden Kondensstreifen. In den letzten Monaten, sobald ich morgens mein CI einschalte, reduziert sich der Lärm in meinen Ohren ganz wesentlich. Es fühlt sich so an, als würde ich den Tinnitus mit dem CI ganz leise drehen.
Es gibt viele Behandlungsansätze für Tinnitus, wie Retraining, Maskergeräte oder auch Akkupunktur. Für den ein oder anderen scheint es zu funktionieren. Doch es gibt nicht grundsätzlich „die“ Tinnitustherapie, die das Allheilmittel sein könnte. Die Auslöser für Tinnitus sind vielfältig und die Versuche, ihn zu bekämpfen auch. Doch meistens bleibt der lärmende Gast im Oberstübchen. Ich habe keinen der Wege wirklich ausprobiert, denn mein Tinnitus gehört zu mir. Maskergeräte, bzw. die Tinnitusfunktion von Hörgeräten, habe ich mir einmal angehört. Bei dieser Technik kann man als angenehm empfundene Klänge (Meeresrauschen, melodische Tonfolgen oder dergleichen) leise abspielen. Der Gedanke dahinter ist, den Tinnitus willentlich durch andere Geräusche zu ersetzen um so dem Ausgeliefertsein ein Schnippchen zu schlagen.
Inzwischen bin ich relativ sicher, dass man gegen Tinnitus meist wenig ausrichten kann. Im Gegenteil: Ich bin davon überzeugt, je mehr man gegen den Tinnitus kämpft, desto größer wird er. Stress und Aufmerksamkeit sind seine Nahrung, denn dies gibt ihm die Energie zu wachsen. Je mehr ich mich mit ihm beschäftige, desto mehr Raum gebe ich ihm und desto bestimmender wird er für mein Leben. Er ist wie ein Dschinn, der seine Flasche verlassen hat. Wenn ich ihn ignoriere, wird er sich irgendwann gelangweilt zurückziehen, bekämpfe ich ihn und versuche ihn in die Flasche zurückzuzwingen, dann wird er sich umso wütender und kraftvoller dagegenstellen.
Nach meiner Ansicht ist die beste Strategie, den Tinnitus als gegeben zu akzeptieren, Frieden zu schließen und es damit gut sein zu lassen. Wie eine Spinne in der Zimmerecke: „Ich tue Dir nix, also tue Du mir auch nix.“ Wichtig ist, trotz der Ohrgeräusche Entspannung zu finden, positiv zu denken und sich mit schönen Dingen zu beschäftigen. Wenn man sein Leben genießt, lernt, sich an kleinen Dingen zu erfreuen, dann nimmt man dem Tinnitus-Dschinn seine Macht.
Das klingt natürlich sehr einfach. Aus heiterem Himmel vom Tinnitus getroffen zu werden ist sicher eine ganz andere Nummer, als zeitlebens davon begleitet zu werden. Es ist auch nicht meine Empfehlung, die Flinte gleich ins Korn zu werfen, schließlich kann der Tinnitus objektive, physische Ursachen haben, die sich behandeln lassen. Irgendwann jedoch kann die Beschäftigung mit dem Tinnitus toxischer sein, als der Tinnitus selbst. Dann schafft man Linderung nicht im Kampf sondern mit Gelassenheit und der Beseitigung von Stressfaktoren.
Ein guter Freund erzählte mir einmal, er habe ein Brummen im Ohr. Wenn es ihn beim Einschlafen stört, stellt er sich vor, in der Kabine eines großen Ozeandampfers zu liegen. Er bekommt so die akustische Untermalung der Phantasiegeschichte frei Haus geliefert.
Hallo Axel,
ich kann Deine Einstellung absolut teilen und lebe genauso.
Der Tinnitus ist manchmal ein großer lästiger Freund und man muss diesen Freund irgendwie lieb haben. Das ist manchmal echt nicht einfach, so einen lästigen Freund zu haben. Aber nur so kann man es gemeinsam zusammen mit ihm ertragen.
Liebe Grüße
vom guten und alten Freund
mit dem Ozeandampfer 😉
Hallo Roland,
Du siehst, Dein Beispiel inspiriert mich doch immer wieder 🙂
Auch liebe Grüße in die Eifel (wo legen da eigentlich die Ozeandampfer an?)